Carl Diem (1882-1962)
Herkunft und berufliche Anfänge
Carl Diem wurde 1882 in Würzburg in eine bürgerliche Familie geboren, wuchs aber in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen auf. Seine Bildungsbiographie war durch Wechselfälle gekennzeichnet: Nach verschiedenen kaufmännischen Ausbildungen und Tätigkeiten leistete er 1904 einen freiwilligen Militärdienst, wurde aber anders als erhofft nicht als Berufssoldat übernommen. Zeitweilig studierte er – ohne über den nötigen höheren Schulabschluss zu verfügen – an der Berliner Universität Nationalökonomie. Ein dauerhaftes, wenngleich zunächst unsicheres Betätigungsfeld fand Diem im Sport, der seit der Jahrhundertwende eine Blüte von Vereins- und Verbandsgründungen sowie rasch wachsende öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr. Diem bestritt seinen Lebensunterhalt als Sportjournalist und begann seine Funktionärskarriere 1908 als Vorsitzender der „Deutschen Sportbehörde für Athletik“. Er gehörte der deutschen Delegation bei den Olympischen Sommerspielen 1912 in Stockholm an und war maßgeblich an der Begründung des seit 1913 verliehenen „Deutschen Sportabzeichens“ beteiligt.
Sportfunktionär im und nach dem Ersten Weltkrieg
In die erste Reihe deutscher Sportfunktionäre rückte Diem mit der Ernennung zum Generalsekretär für die 1916 in Berlin geplanten Olympischen Spiele auf. Im Ersten Weltkrieg, der die Absage dieser Spiele verursachte, diente Diem als Freiwilliger. Unmittelbar danach übernahm er eine Leitungsfunktion im Deutschen Reichsausschuss für Leibesübungen und initiierte die „Reichsjugendwettkämpfe“, Vorläufer der Bundesjugendspiele. Sein berufliches Auskommen fand Diem in der von Theodor Lewald und ihm in Berlin gegründeten Deutschen Hochschule für Leibesübungen – den Makel eines fehlenden akademischen Abschlusses kompensierte eine Berliner Ehrendoktorwürde, die der Mediziner August Bier als erster Rektor der Hochschule Diem verschaffte. Neben der Hochschultätigkeit trat Diem weiterhin als Verbandsfunktionär auf und war bei den Olympischen Spielen sowohl 1928 als 1932 Missionschef der deutschen Mannschaft. Wie andere Sportfunktionäre in dieser Zeit propagierte er den Sport als Ersatz für die Wehrausbildung, in der die Deutschen durch den Versailler Vertrag sehr stark eingeschränkt waren, und als Instrument zum nationalen Wiederaufstieg.
Karrierehemmnisse und weiterer Aufstieg unter dem Nationalsozialismus
Obwohl ihn seine nationalistischen und militaristischen Grundanschauungen durchaus für eine weitere sportpolitische Karriere im Nationalsozialismus hätten qualifizieren können, erlebte Diem 1933 einige Rückschläge. Im Zuge der allgemeinen Gleichschaltung des Vereins- und Verbandswesens verlor er sein Amt als Generalsekretär des Reichsausschusses, und er wurde auch als Prorektor der Sporthochschule entlassen. Die näheren Umstände sind unklar; allerdings dürfte neben Diems fehlender Bereitschaft zum Eintritt in die NSDAP auch die jüdische Herkunft seiner Ehefrau eine Rolle gespielt haben. Als die nationalsozialistischen Sportpolitiker nach einigem Zögern entschieden, die bereits für 1936 nach Berlin vergebenen Olympischen Spiele für ihre propagandistischen Zwecke zu nutzen, kam auch Diem als Generalsekretär des Organisationskomitees wieder zum Zuge. Beim Bau des Berliner Olympiageländes konnte er einige Akzente setzen, und über die Ereignisse von 1936 hinweg prägte der von ihm mitinitiierte Fackellauf von Griechenland zur Austragungsstätte das Bild der Olympischen Spiele dauerhaft.
Sportpublizist und politischer Agitator im Zweiten Weltkrieg
Indem er 1936 effektiv daran mitwirkte, das Zerrbild eines friedlichen und weltoffenen nationalsozialistischen Deutschlands zu inszenieren, qualifizierte sich Diem für neue sportpolitische Aufgaben in der Diktatur: 1936 übernahm er die Leitung des Internationalen Olympischen Instituts in Berlin, und 1939 wurde er Leiter der Auslandsabteilung des Nationalsozialistischen Reichsbunds für Leibesübungen. Diem entfaltete eine rege publizistische Tätigkeit im Dienst des politischen Systems und seit 1939 im Dienst der deutschen Kriegsführung. Er stimmte dabei in den Chor aggressiv-chauvinistischer und rassistischer Propaganda mit ein, dem er durch seine herausgehobene Stellung als hoher Sportfunktionär eine besondere Note verlieh. Besonders fatal mutet in der Rückschau eine Rede an, in der er Mitte März 1945 im nahen Angesicht der deutschen Kriegsniederlage Berliner Hitlerjungen „zum finalen Opfergang für den Führer“ aufrief. Diems Kriegspublizistik wird unterschiedlich bewertet: Während ihre politisch anstößigen Passagen lange Zeit als bloße verbale Zugeständnisse an einen vermeintlichen NS-Zeitgeist bagatellisiert wurden, so werden sie von manchen (Sport)Historikern als Ausfluss beziehungsweise konsequente Weiterentwicklung früh (schon vor dem Ersten Weltkrieg) angelegter völkischer, militaristischer und auch antisemitischer Anschauungen Diems interpretiert.
Sportfunktionär in der frühen Bundesrepublik
Da Diem kein NSDAP-Parteimitglied gewesen war und seine Kriegspublizistik zunächst keine Beachtung fand, konnte er seine berufliche und sportpolitische Karriere fortsetzen: Er wurde 1947 Gründungsrektor der an das Berliner Pendant der Weimarer Republik anknüpfenden Deutschen Sporthochschule in Köln, die er bis zu seinem Tod 15 Jahre später leitete. Diem amtierte zudem von 1950 bis 1953 als Sportreferent im Bundesinnenministerium und setzte auch seine publizistische Tätigkeit, unter anderem als Chefredakteur der Zeitschrift „Olympisches Feuer“, fort. Während Diem im Kalten Krieg von Seiten der DDR als Gegner des Arbeitersports, Militarist und NS-Funktionär kritisiert wurde, blieben in der Bundesrepublik die problematischen Traditionen der Sportpolitik im Nationalsozialismus im Allgemeinen und die politische Belastung Diems im Besonderen fast ganz ausgeblendet. Dies änderte sich nach der Jahrtausendwende mit mehreren (Buch)Veröffentlichungen, deren tagespublizistische Resonanz dazu führte, dass an verschiedenen Orten Ehrungen Diems aufgehoben wurden: Nach ihm benannte Straßen wurden zum Beispiel in Ingolstadt, Kempten, Aachen, Paderborn, Heidelberg, Münster und Osnabrück umgewidmet. Auch Sportverbände haben sich durch Umbenennung von Auszeichnungen von Diem distanziert: So wurden sowohl der Carl-Diem-Schild des Deutschen Leichtathletik Verbands (2001) als auch eine Namensplakette des Deutschen Olympischen Sportbunds (2006) umgewidmet.
Literatur: Frank Becker, Den Sport gestalten. Carl Diems Leben (1882-1962), 4 Bde., Duisburg 2009-2011; Achim Laude u. Wolfgang Bausch, Der Sport-Führer. Die Legende um Carl Diem, Göttingen 2000; Ralf Schäfer, Militarismus, Nationalismus, Antisemitismus. Carl Diem und die Politisierung des bürgerlichen Sports im Kaiserreich, Berlin 2011