Walter Schmitt (1909-1971)
Als 13 Jahre nach seinem Tod die Grünanlage vor der Heinrich-Beck-Halle nach Dr. Walter Schmitt benannt wurde, war er in Leutershausen als Leiter einer Mannheimer Privatschule und vor allem als Wegbereiter des Aufstiegs der Handballer in die nationale Spitze in den 1960er Jahren in Erinnerung. Über seinen Lebensweg vor seiner Rückkehr aus amerikanischer Internierung nach Leutershausen im Jahr 1947 und vor allem über seinen beruflichen und politischen Werdegang während der nationalsozialistischen Herrschaft lagen damals praktisch keine Informationen vor. Ein umfassenderes Bild seiner Biographie ermöglicht erst eine Buchpublikation von 2022.
Herkunft und berufliche Ausbildung
Schmitt wurde 1909 als Landwirtssohn in Leutershausen geboren. Nach dem Abitur am Realgymnasium Mannheim studierte er seit 1927 Chemie, Mathematik und Physik in Heidelberg. Sein Referendariat absolvierte er am Heidelberger Realgymnasium für Mädchen (dem späteren Hölderlin-Gymnasium), und im April 1933 trat er als Lehrer in die Privatrealschule Schwarz in Mannheim ein. 1938 wechselte Schmitt in den öffentlichen Schuldienst und zeigte den dafür nötigen politischen Opportunismus (Mitglied im Nationalsozialistischen Lehrerbund war er bereits seit 1933) mit dem Eintritt in die NSDAP nach Aufhebung der Mitgliedersperre 1937. Die bei Beamtenernennungen obligatorische politische Prüfung durch Parteistellen ergab zunächst Rückfragen wegen vermeintlicher Mitgliedschaft Schmitts in einem evangelischen Kirchenchor, brachte schließlich aber ein positives Votum, das die Verbeamtung im August 1940 ermöglichte.
SS-Mann im Kriegsdienst in Polen und als Lehrer im Elsass
Seit April 1938 war Schmitt am Heidelberger Hölderlingymnasium tätig und bereitete parallel seine im Juli 1939 abgeschlossene Promotion in Physik vor. Bei Kriegsbeginn wurde er zur Waffen-SS eingezogen. Dorthin war er über seine Mitgliedschaft in der Reiter-SS gelangt, der er 1933 beigetreten war, als die früheren Reitvereine nach und nach gleichgeschaltet wurden. Der Reiter-SS hatte Schmitt nicht als einfaches Mitglied angehört, sondern sich als Unterscharführer, Schulungsleiter und Sportreferent im Reitersturm Weinheim profiliert. Schmitt behauptete später, unfreiwillig über eine der „Verfügungstruppen“ der SS in die Waffen-SS aufgenommen worden zu sein, zeigte aber auch dort über den einfachen Dienst hinaus Engagement, indem er von April bis Juli 1940 einen Schulungskurs an der SS-Junkerschule in Bad Tölz besuchte.
Zuvor war Schmitt in Polen bei einem in starkem Maße an den Besatzungsverbrechen, unter anderem der Deportation und Erschießung von Jüdinnen und Juden, beteiligten SS-Kavallerie-Regiment stationiert gewesen, und er kehrte auch dorthin zurück, bis er am Jahresende 1940 wieder in den Schuldienst beordert wurde. Auch dort (in Buchsweiler/Bouxwiller) ließ sich Schmitt für die Besatzungspolitik – nun als einer der für die „Germanisierung“ des Elsass herangezogenen deutschen Lehrer – in Dienst nehmen. Der Kriegsverlauf führte ihn nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am Jahresende 1941 wieder zur Waffen-SS zurück, dieses Mal zur kämpfenden Truppe an die Front. Bei Rschew wurde Schmitt im März 1942 schwer verwundet und nach mehrmonatigem Lazarettaufenthalt im November 1942 erneut in den Schuldienst abgeordnet. Aufgrund seiner SS-Zugehörigkeit kam er nicht in den einfachen Schuldienst, sondern wurde an NS-ideologisch exponierten Lehranstalten eingesetzt. Schmitt war zunächst für ein knappes halbes Jahr in Rufach/Rouffach tätig an der Reichsschule für Volksdeutsche, an der Kinder von Umsiedlern aus Südtirol unterrichtet wurden, und im April 1943 wechselte er an die im gleichen Ort untergebrachte Nationalpolitische Erziehungsanstalt (Napola), ein der SS unterstehendes Eliteinternat.
Kommissarischer Schulleiter in Schloss Salem 1944/45
Im Januar 1944 wurde Schmitt aus dem Elsass ins Reich versetzt und übernahm in der Schule Schloss Salem, die 1920 als reformpädagogisches Internat gegründet worden war, die stellvertretende Leitung, die ihm aufgrund einer Dauererkrankung des Schulleiters erhebliche Handlungsspielräume ermöglichte. Über seine Amtsführung in Salem liegen überwiegend nur retrospektive Zeugnisse vor, die eine klare Einschätzung nicht zulassen. Von mehreren Ehemaligen wurde Schmitt jedenfalls als politischer Scharfmacher wahrgenommen, der die Nazifizierung der Schule – wie von der in den Händen der SS befindlichen „Inspektion deutscher Heimschulen“ mit seiner Versetzung dorthin sicherlich intendiert – vorantrieb. Die Rolle eines Pädagogen im Dienste der NS-Ideologie hatte Schmitt bereits während seiner früheren Tätigkeiten im Elsass ausgeübt; besonders bekräftigt wurde sie durch sein paralleles Auftreten als lokaler SS-Führer (Leiter der SS-Stürme Buchsweiler und Reichshoffen/Rishoffe). Dass Schmitt in seiner pädagogischen Arbeit und in seinen öffentlichen Auftritten nur die unbedingt nötigen ideologischen Lippenbekenntnisse ablegte, um sich unpolitische Handlungsspielräume zu bewahren, wie er nach dem Krieg behauptete und wie ihm vereinzelt während seiner Entnazifizierung von Dritten attestiert wurde, ist wenig glaubhaft, lässt sich aber auch nicht klar widerlegen.
Internierungshaft und Entnazifizierung
In den allerletzten Kriegstagen wurde Schmitt aus nicht mehr rekonstruierbaren Gründen aus Salem an die Napola Reichenau versetzt, ohne dort noch seinen Dienst aufnehmen zu können. Er tauchte zunächst unter, wurde im Juli 1945 verhaftet und wegen einer Formalbelastung als SS-Offizier in Ludwigsburg in US-amerikanische Internierung genommen. Er verbrachte mehr als zwei Jahre in Haft und wurde im September 1947 auf freien Fuß gesetzt, nachdem die Lagerspruchkammer Ludwigsburg ihn als „Mitläufer“ eingestuft hatte. Schmitt ließ sich in Leutershausen nieder und nahm seine Lehrertätigkeit am Jahresende 1948 in der Mannheimer Privatschule Schwarz, in der er bereits von 1933 bis 1938 angestellt gewesen war, wieder auf. Unter Berufung auf seinen Mitläuferbescheid versuchte Schmitt, der im Mai 1945 durch Entlassung seinen Beamtenstatus verloren hatte, 1949 die Wiedereinstellung im öffentlichen Schuldienst zu erreichen; allerdings wurde sein Gesuch von der Schulaufsichtsbehörde wegen seiner SS- und Napola-Vergangenheit abgelehnt.
Berufliche Rehabilitation in den 1950er Jahren
Mit dem sogenannten 131-er Gesetz von 1951 hätte Schmitt einen Rechtsanspruch auf Wiedereingliederung in den Öffentlichen Dienst gehabt. Warum er hiervon keinen Gebrauch machte, ist unklar. Vermutlich war er mit seinem Fortkommen in Mannheim so zufrieden, dass ihm eine Rückkehr in den öffentlichen Schuldienst nicht lukrativ erschien: Bereits 1950 stieg Schmitt zum Unterrichtsleiter der Höheren Privatschule Schwarz auf, und 1961 wurde er nach dem Tod Georg Sesslers, unter dem die Schule seit 1912 expandiert hatte, und seiner Witwe gemeinsam mit Emil Heckmann Besitzer der Lehranstalt, die nach staatlicher Anerkennung in Kurpfalz-Gymnasium umbenannt wurde. Dass Schmitt 1966 auf seinen Antrag vom baden-württembergischen Kultusministerium die Amtsbezeichnung Studiendirektor verliehen wurde, war nur eine späte formale Anerkennung seiner inzwischen längst vollzogenen beruflichen Rehabilitation.
Literatur: Marc Zirlewagen, Vom SS-Obersturmführer zum Handballdoktor. Die zwei Leben des Dr. Walter Schmitt (1909-1971) [Beiträge zur Geschichte der Schule Schloss Salem, Bd. 1], Norderstedt 2022.